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Gaming

„Thronebreaker“ – Rollenspiel trifft auf Kartenspiel

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Atmosphärische Kartenduelle, die bisweilen fordernd sind, verpackt in eine kriegsgebeutelte Fantasy-Welt, in der moralisch schwierige Entscheidungen warten.

Rezension

Das neueste Videospiel des polnischen Entwicklerstudios CD Projekt Red, Thronebreaker: The Witcher Tales, ist ein Spin-off der erfolgreichen „The Witcher“-Rollenspielserie, die ihrerseits Andrzej Sapkowskis Fantasy-Romanreihe über den Hexer Geralt von Riva stofflich bearbeitet und als Videospiel weitererzählt. Die Witcher Tales geben nun weitere Geschichten aus dieser Erzählwelt zum Besten. Die Handlung von Thronebreaker findet jenseits der Abenteuer des Hexers statt und folgt der Königin von Lyrien, die ihr Reich gegen das nilfgaardische Imperium verteidigt. Genretechnisch handelt es sich um ein digitales Kartenspiel mit Rollenspiel-Elementen.

thronebreaker 3thronebreaker 2Im Fokus der Spielmechanik steht daher nicht mehr die Spielfigur, wie in Rollenspielen üblich, sondern die ihr unterstellte Armee, die an ihrer Stelle die Kämpfe austrägt und im Spielverlauf aufgebessert werden kann. Die Kämpfe werden nicht im direkten Schlagabtausch, sondern durch Kartenduelle ausgetragen. Hierbei repräsentieren die Karten des Spielers die Armee der Spielfigur, hingegen die des Computergegners ihre Widersacher – Räuber, Monster, Elfen, feindliche Soldatentrupps. Das Spielprinzip hierfür stammt aus dem Kartenspiel Gwent, das in The Witcher 3: Wild Hunt als Minispiel eingeführt wurde und mittlerweile zu einem Multiplayer-Standalone ausgebaut wurde, in dem E-Sport-Turniere ausgefochten werden. Für Thronebreaker hat CD Projekt Red die Karten und Regeln aus Gwent allerdings angepasst und die Komplexität reduziert. Dennoch werden beide Spiele von den Entwicklern eng zusammengedacht, schon weil das eine im Startmenü des jeweils anderen beworben und angeklickt werden kann. Wer zudem Thronebreaker spielt, erhält Belohnungspunkte in Gwent, durch die das Kartensammeln deutlich erleichtert wird. Weitere Vorzüge für Gwent wie Avatare, Bilderrahmen und besondere Karten können ebenfalls freigeschaltet werden.

Spielmechanik und Präsentation: Comic-Stil und animierte Kartenduelle

thronebreaker 6thronebreaker 7Bewegt wird die Spielfigur je nach Kapitel durch verschiedene Landstriche, die sich im Comicstil und aus der Vogelperspektive darstellen. Mal sind sie dörflich-idyllisch, mal kriegsverwüstet. Mal sind es nebelige Wälder, mal vereiste Winterlandschaften. Hier und da stehen Figuren, mit denen der Spieler reden kann, vornehmlich einfache Leute wie Bauern oder Händler. Hingegen Monster und Soldaten zeigen einen Kampf an, auf den man sich einlassen kann, manchmal einlassen muss, um passieren zu können. Am Wegesrand, auf Bauernhöfen oder Dörfern können Gold, Holz und Rekruten eingesammelt werden, mit denen Karten und Gebäude im Feldlager hergestellt werden können. Das Feldlager ist jederzeit per Knopfdruck erreichbar. Dort kann im Kommandozelt das Kartendeck zusammengestellt und neue Karten „gebaut“ werden. In der Werkstatt schaltet man neue Karten und nützliche Zusatzfertigkeiten frei, indem man neue Gebäude baut oder sie verbessert. Im Messezelt kann der Spieler mit Nebenfiguren sprechen, die seine Armee begleiten und für die Dauer der gemeinsamen Reise als Charakterkarte verfügbar sind. Viele davon stammen aus den vorherigen Videospielen oder aus den Romanen. Unterwegs können plötzliche Ereignisse dem Spieler eine Entscheidung abverlangen, die später Konsequenzen haben kann. Ereignisse werden als vollvertonte Texte abgehandelt, die in einem Dialogfenster aufpoppen, wenn man einen festgelegten Punkt auf der Karte erreicht oder wenn man einen Ort mit Fragezeichen untersucht, etwa eine verlassene Hütte im Wald. Dialogszenen, die besonders wichtig für das Geschehen sind, werden mit leicht animierten Figuren visualisiert, was angesichts der fulminanten Grafik aus vorherigen Witcher-Games spartanisch wirkt, aber trotz allem stimmungsvoll ist.

Nicht jeder Kampf wird nach den typischen Gwent-Regeln durchgeführt. Das geschieht lediglich in Standardschlachten. Hier dauert ein Kartenduell drei Runden. Eine Runde gewinnt, wer die meisten Punkte auf das eigene Feld gelegt hat. Fast jede Karte hat daher einen Punktewert. Wer zwei Runden gewinnt, hat das Kartenduell für sich entschieden. Um die Spielmechanik überhaupt erst interessant zu machen, haben die Karten außerdem jeweils eine Fähigkeit, ähnlich wie in dem Trading Card Game Magic: The Gathering. So können durch Kartenfähigkeiten unter anderem eigene Karten aufgewertet oder die gegnerischen abgewertet werden. Wie man sein Kartendeck zusammenstellt, hängt maßgeblich von der Kombination dieser Kartenfähigkeiten ab, die sich gegenseitig verstärken können. Über den Spielverlauf werden so verschiedene Strategien möglich. Grafik- und Soundeffekte sowie durchweg animierte Kartenbilder werten die Kartenduelle auf.

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Neben Standardkämpfen gibt es auch Storyschlachten oder Rätselkämpfe, die beide nur eine Runde andauern. In Storyschlachten gelten Zusatzregeln und besondere Siegbedingungen, die dem Kartenduell den Charakter einer Schlacht geben, etwa wenn zu verhindern ist, dass Karawanenkarten das Spielfeld verlassen oder der Feind Verstärkung rufen kann. Manchmal muss auch der gegnerische General besiegt werden, dargestellt als Karte auf dem Spielfeld. Unterstützt wird diese atmosphärische Erzählweise durch Zwischenrufe der Spielfigur oder ihrer Begleiter, die das Kampfgeschehen kommentieren. Während Storyschlachten also eine Schlacht nachstellen und zusätzliche Komplikationen einbauen, sind Rätselkämpfe reine Knobelaufgaben. Mit einem bestimmten Kartensatz muss der Spieler ein Kartenduell gewinnen, bei dem sich der Computergegner in einer ganz bestimmten Weise verhält. Hier ist logisches Denken gefragt. Wem das nicht gefällt, der kann den Rätselkämpfen einfach ausweichen. Aber ihm entgehen dann auch die Belohnungen: Ressourcen und besondere Karten, die man nicht „bauen“ kann. Ein Versuch schadet aber nicht. Kein Kampf ist in Thronebreaker auf Dauer verloren und kann jederzeit wiederholt werden.

Story und Spielerentscheidungen: Schwerwiegende Moral in Kriegszeiten

thronebreaker 5Die Protagonistin dieser Geschichte ist Meve, Königin von Lyrien, die ihre Soldaten zunächst gegen marodierende Räuber zu Felde führt und anschließend gegen die einfallenden Truppen des nilfgaardischen Imperiums, das in den noch unabhängigen Königreichen des Nordens brandschatzt und versklavt, wie es beliebt – ein Szenario, das bereits aus Sapkowskis Romanen bekannt ist und später in The Witcher 2: Assassins of Kings abermals aufgegriffen wurde. Brenzlig wird die Lage der Königin, als sie sich von ihrem Sohn verraten und ausgebotet sieht. Naiverweise hat der Prinz einen Vertrag mit Nilfgaard zur bedingungslosen Kapitulation unterzeichnet. Unwissend macht er sich damit zum Werkzeug des eigentlichen Verräters unter Meves Gefolgschaft. Die Königin wird einkerkert, flieht, erhebt sich zur Partisanin. An ihrer Seite tauchen unverhoffte Unterstützer auf: Die Räuber, die sie vormals noch gejagt hat, schließen sich ihr angesichts der politischen Lage an. Der Auftakt von Thronebreaker zeigt bereits, dass der Markenkern von The Witcher gewahrt bleibt: Das Geschehen bleibt drastisch, wendungsreich und unerwartet, die sozialen Gefüge zwischen Freund und Feind sind komplex und die Figuren werden als ambivalent dargestellt.

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Der Markenkern der „The Witcher“-Reihe verdankt sich im Übrigen einer Verkitschung von Sapkowskis erzählerischen Leistungen. Von Kitsch ist deshalb die Rede, weil die erzählerische Qualität aller Erzählungen von The Witcher im Wesentlichen auf einer Nachahmung von Sapkowskis Stil beruht. Sapkowski hatte diesen bereits in den 80ern entwickelt. Besonders in der Figurengestaltung, der philosophischen Grundierung des Geschehens und am ironischen, oft sexuell konnotierten Humor spürt man diese Nachahmung, die in den Produkten von CD Projekt Red stetig wiederholt wird und auch wiederholt werden muss, weil die Marke andernfalls nicht erkennbar bliebe. Aber gerade die Nachahmung sowie die endlose Wiederholung, einhergehend mit der Vereinfachung des Originals, erzeugen Kitsch. Es ist nur deshalb keine billige Kopie entstanden, weil das Medium gewechselt wurde und weil dies einer künstlerischen Eigenleistung bedarf. Das ist der große Verdienst der „The Witcher“-Reihe: ihre Adaptionsleistung und Visualisierung der Romane als Videospiel, das den Spieler in das Zentrum der Dramaturgie stellt. Plötzlich muss der Spieler die moralisch vertrackten Entscheidungen im Namen der Figuren treffen, und dies entwickelt eine ganz eigene Wirkung.

In Thronebreaker wird die Spielmechanik der schwierigen Entscheidungen fortgeführt, aber durch die Protagonistenwahl in ihrer Tragweite verschoben, da man nicht mehr den Monsterjäger Geralt spielt, der von der Willkür der Mächtigen abhängt, sondern selbst in die Rolle einer Person mit Macht schlüpft. Das verändert die Art der Entscheidungen teilweise, ihr Stil bleibt aber derselbe. Einmal muss Königin Meve entscheiden, ob sie sich in ein Pogrom gegen Elfen und Zwerge einmischt und auf welche Seite sie sich schlägt. Dem wütenden Mob zufolge haben die „Anderlinge“ dem Feind geholfen. Ein anderes Mal ist zu entscheiden, ob Königin Meve just befreite Sklaven mitnimmt oder fortschickt. Einerseits könnten die halbverhungerten Menschen ihre Armee aufhalten, andererseits würden sie ohne Hilfe wohl umkommen. Entscheidet man sich dafür, die Befreiten mitzunehmen, werden einige von ihnen später Rationen stehlen und flüchten. Erneut stellt sich die Frage, ob die Menschen bleiben dürfen oder verjagt werden. Lässt man abermals Milde walten, murren die Soldaten, ihre Armee sei kein Asyl. Derart tragen sich einige Entscheidungen im Spielgeschehen fort, andere betreffen nur eine konkrete Situation.

Fazit: Düstere Fantasy für Kartenspieler

Wer sich für das anspruchsvolle Kartenspiel Gwent interessiert, düstere Fantasy-Geschichten und moralisch schwierige Entscheidungen mag, der wird seine Freude an Thronebreaker: The Witcher Tales haben. Es bietet für Neulinge einen leichten Einstieg in das Kartenspiel sowie für jeden Gwent-Spieler Vorteile für das Multiplayer-Standalone. Das Spiel belegt aber auch, dass die Verkaufsmaschinerie der „The Witcher“-Marke weiter befeuert wird, vermutlich bis zur Marktübersättigung, was wirtschaftlich sinnvoll, künstlerisch aber schädlich ist. Statt zu Neuem (oder neu Gedachtem) führt es zu einer Wiederholung des Immerselben – und damit zu einer Verflachung des Stoffs, auf die man nur mit Langeweile reagieren kann. Denn kamen The Witcher, Assassins of Kings und Wild Hunt noch der Bergung eines erzählerischen Schatzes gleich und waren durch ihre Gestaltung innovative Videospiele, kann man dies für Thronebreaker nicht mehr behaupten.

 

Trailer zu Thronebreaker: The Witcher Tales

 

Infokasten

„Thronebreaker: The Witcher Tales“

Entwickler: CD Projekt Red

Publisher: CD Projekt Red

Plattformen: Xbox One, PlayStation 4, Windows PC

Polen 2018

Veröffentlichung als Download: 23.10.2018 (Windows), 4.12.2018 (Xbox One, PlayStation 4)

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Letzte Änderung amMontag, 11 Februar 2019 18:21
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Thought flows in terms of stories – stories about events, stories about people, and stories about intentions and achievements. The best teachers are the best storytellers. We learn in the form of stories.“

– Frank Smith

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