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Film

„Dragged Across Concrete“ – Ein ungewöhnlicher Crime-Thriller

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Geld regiert die Welt, aber nicht jeder hat es. Zwei Ganoven wollen das mit einem letzten Coup ändern. Allerdings haben es zwei Cops auf ihre Beute abgesehen.

Rezension

dac 2Henry Johns (Tory Kittles) ist gerade wieder aus dem Knast heraus, da muss er feststellen, dass seine Mutter sich für ihren Lebensunterhalt prostituiert. Der Mann kehrt in eine zerrüttete Welt zurück, in der es an allen Ecken und Enden an Geld fehlt. Henry bleibt keine andere Wahl als in ein letztes krummes Geschäft einzuwilligen, das er zusammen mit seinem Kumpel Biscuit (Michael Jai White) durchziehen will. Zur selben Zeit beschließt auch der alt gewordene Polizist Brett Ridgeman (Mel Gibson) bei seinem finanziellen Glück eigenhändig nachzuhelfen. Seine Arbeit als Cop wirft nicht den erhofften gerechten Lohn ab. In einer heruntergekommenen Gegend lebend muss Brett miterleben, wie seine Tochter Sara (Jordyn Ashley Olson) immer öfter von Jugendlichen auf der Straße angegangen wird. Aber für ein Leben in einer besseren Gegend reicht das Geld nicht. Also macht Brett über einen alten Kontakt (Udo Kier) den Kriminellen Lorenz Vogelmann (Thomas Kretschmann) ausfindig, den er für einen Drogendealer hält, und plant den Kerl um sein ergaunertes Geld zu erleichtern. Zusammen mit seinem Partner Anthony Lurasetti (Vince Vaughn), den er in die Sache mit hineinzieht, beginnt Brett die Observation. Zeit haben Brett und Anthony zur Genüge, seit sie wegen übermäßiger Polizeigewalt suspendiert wurden. Doch weder die beiden Cops noch Henry und Biscuit ahnen, worauf sie sich aus verzweifelter Geldnot eingelassen haben. Denn bei dem sich anbahnenden Coup sind knallharte Professionelle am Werk, die mit unmenschlicher Eiseskälte vorgehen.

dac 1Henry Johns (Tory Kittles) räumt mit den Freiern seiner drogenabhängigen Mutter auf.

Dialogreiche Figurenzeichnung: Sogar Nebenfiguren sind wichtig

dac 5Dragged Across Concrete ist ein ungewöhnlich langsam und ausführlich erzählter Crime-Thriller, der seine Spannung entsprechend nicht nur aus dem sich zuspitzenden Handlungsverlauf gewinnt, sondern auch aus der Schilderung der Figurenmotivationen sowie deren Entwicklung. Wie schon in seinen vorangegangen Werken Bone Tomahawk und Brawl in Cell Block 99 legt Regisseur und Autor Steven Craig Zahler viel Wert auf eine detaillierte Figurenzeichnung, bevor es ans Eingemachte geht. Das trägt immens zur Glaubwürdigkeit der Figuren bei und beeinflusst nachhaltig die Wirkung des Filmgeschehens, das sich vor dem Hintergrund dieser Figurenzeichnung entfaltet. Vergleichsweise lange Dialoge geben den Figuren hierfür den nötigen Raum zur Entwicklung. Anders als etwa in manchem Film von Quentin Tarantino, in denen die Figurengespräche zwar amüsant, aber oft redundant sind, tragen die Dialoge in Dragged Across Concrete maßgeblich zur Handlung bei. Sogar die Charaktere einiger Nebenfiguren werden auf diese Weise dargestellt, darunter auch die just muttergewordene Businessfrau Kelly Summer (Jennifer Carpenter), deren Auftreten man sicher hätte aus dem Drehbuch streichen können, was aber auch zur Konsequenz gehabt hätte, dass die Durchführung des Coups weniger drastisch erschienen wäre. Denn kann man sich auf die langatmige Erzählweise von Dragged Across Concrete einlassen, fällt die Identifikation mit den Haupt- und sogar Nebenfiguren umso intensiver aus, was wiederum für die Spannungswirkung relevant ist, wenn die Lage plötzlich eskaliert. Eine weitere Besonderheit von Dragged Across Concrete steht mit der Figurenzeichnung im Zusammenhang. Dieser Film nimmt sich die Zeit, sowohl eine ausführliche Exposition als auch einen Epilog zu erzählen, was belegt, dass Zahler seine Figuren am Herzen liegen. Ihre Motivation und Entwicklung sind elementar für diesen Film.

dac 4Brett Ridgeman (Mel Gibson) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) lauern einem Verdächtigen auf.

Mit wem soll der Zuschauer sympathisieren?

dac 3Da der Film von Beginn an multiperspektivisch erzählt – also mehreren Figuren durch mehrere Handlungsstränge folgt, die später zusammenlaufen – findet keine einseitige Identifikation statt, auch wenn über lange Zeit die Perspektive der suspendierten Cops eingenommen wird, weil sie analog zum Publikum noch nicht in den Coup eingeweiht sind. An ihrer Seite entdecken die Zuschauer:innen nach und nach, was vor sich geht. Die finale Konfrontation der Figuren ist geprägt durch die gegenläufige Identifikation mit Cops und Ganoven. Das einfache Sympathisieren mit einer Partei ist so unmöglich. Nur eines macht der Film klar: Eine Identifikation mit den Profis soll nicht erfolgen. Während wie gesagt Nebenfiguren teils eine tiefergehende Charakterisierung erhalten, ist es doch sehr auffällig, dass Herkunft und Motivation der Profis unbekannt bleiben. Sie sind geradezu anonym, zumal sie abgesehen von ihrem Chef Lorenz Vogelmann durchweg maskiert auftreten. Das passt zu ihrer Skrupellosigkeit. Bis zum Schluss bleibt unklar, zu was diese militärisch gedrillten Kriminellen imstande sind. Sie sind das unberechenbare Moment, das die Spannung intensiviert, weil bald klar wird, dass weder die Kleinganoven Henry und Biscuit noch die Cops Brett und Anthony in derselben Liga spielen wie diese Antagonisten. Die Schauspielleistung in Dragged Across Concrete ist durchweg ansprechend, aber Mel Gibson noch einmal als gealterten Cop zu erleben, der sich ein Leben lang für Recht und Ordnung eingesetzt hat, aber zunehmend an seinem Job verzweifelt, ist etwas Besonderes. Auch wenn Mel Gibson sich durch antisemitische und rassistische Äußerungen in den letzten Jahren selbst diskreditiert hat, ist er immer noch ein guter Schauspieler. Aber ebenso gut ist Vincent Vaughn als 20 Jahre jüngerer Cop, der ähnlich hartgesotten wie sein Partner ist, allerdings den einen oder anderen Tick aufweist, darunter einen Reinlichkeitsfimmel. So kommt bei allem Ernst auch ein wenig Humor in diesen Film.

dac 6Brett Ridgeman (Mel Gibson) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) haben sich für das Finale gewappnet.

Polizeigewalt, soziale Missstände, Rassismus

Eingebettet in die Handlung eines Crime-Thrillers sind verschiedene soziale Themen, die miteinander verknüpft sind. Einerseits ist dies Polizeigewalt, die in anderen Filmen oft unreflektiert als Mittel zum Zweck eingesetzt wird, in Dragged Across Concrete dagegen problematisiert und mehrschichtig inszeniert wird. Andererseits wird die Hoffnungslosigkeit unterbezahlter Cops thematisiert, überhaupt noch gegen das Verbrechen anzukommen – bei gleichzeitigem Ausbleiben eines sozialen Aufstiegs. Das harte Durchgreifen, um Resultate zu erhalten, steht hiermit in Verbindung. Brett Ridgeman haben die Jahre auf der Straße abgestumpft und frustriert. Dass er zuletzt einem Kriminellen seine illegale Beute abnehmen will, ist eine Konsequenz seiner Abstumpfung und führt dazu, dass er die ihm aufgetragene Ordnungsgewalt bis zum Unrecht verabsolutiert. Auf der anderen Seite geht es den Ganoven nicht anders. Henry und Biscuit leben in miesen Verhältnissen, ebenfalls ohne Aufstiegschancen. Um für ihre Familien zu sorgen, machen sie bei einem Coup mit, bei dem sie nur Handlanger sind und Gefahr laufen, umgebracht zu werden, sobald sie nicht mehr benötigt werden.

Mit diesem Themenkomplex verwebt der Film auf zweideutige Weise zudem das Problem des Rassismus und deutet eine Ursache für diesen an: die soziale Not, die die Menschen verschiedener Hautfarben und sozialer Schichten gegeneinander aufbringt. Dabei verfährt der Film mit allzu typischen Rollenzuweisungen. Die Gauner Henry und Biscuit sind Schwarze, die Cops hingegen Weiße. Auch die Jugendlichen, die Bretts Tochter belästigen, sind Schwarze. Ganz so klar bleiben die Zuweisungen allerdings nicht. Immerhin ist Anthonys Freundin ebenfalls eine Schwarze. Was umso verwirrender ist, weil beide Cops in einer Szene eine nackte, klitschnasse Frau mit lateinamerikanischer Herkunft unter einem Deckenventilator frieren lassen, bis sie gesteht, was die Zwei hören wollen. Das ist Nötigung und im Grunde bereits eine Form von Folter. Zudem machen die Cops auf die Herkunft der Frau bezogene Witze. Das dürfte eigentlich nicht zu Anthony passen, illustriert jedoch die Verrohung der Figuren. Im Zusammenhang mit dieser Inszenierung werfen einige Rezesent:innen die Frage nach einer rassistischen Darstellung in Zahlers Filmen auf. Schon in Bone Tomahawk sehen sich weiße Cowboys mit kannibalistischen Indianern konfrontiert. Fraglos provoziert Dragged Across Concrete und bricht mit der politischen Korrektheit von Mainstream-Filmen durch Zuspitzungen in der Darstellung, die Grenze zu einer rassistischen Inszenierung wird dabei nicht überschritten. Eingedenk des Finales kann man diesen Film nicht rassistisch deuten.

Fazit: Ein ungewöhnlicher, auf seine Art spannender Crime-Thriller

Mit 159 Minuten ist Dragged Across Concrete ein ausgesprochen langer und zugleich sehr langsam erzählter Crime-Thriller, der deswegen aber nicht minder spannend ist. Das liegt unter anderem an der ausführlichen Charakterisierung interessanter, sehr unterschiedlicher Figuren, die in vergleichsweise langen Dialogen eine realistische Tiefe und glaubhafte Motivation entfalten, was im Nebenher viel über soziale Missstände in den USA aussagt. Wer sich für die ungewöhnliche, eher romanhafte Erzählweise dieses Films erwärmen kann, erlebt einen erstklassigen Thriller, bei dem einem die Figuren, obwohl sie moralisch zweifelhaft sind, ans Herz wachsen. Entsprechend bleibt das schonungslose Finale umso mehr im Gedächtnis.

Trailer zu Dragged Across Concrete

Infokasten

„Dragged Across Concrete“

Regie: Steven Craig Zahler

Drehbuch: Steven Craig Zahler

Laufzeit: 159 Minuten (uncut)

Produzent: Unified Pictures, Assemble Media, Cinestate, Look to the Sky Films, Metrol Technology, Moot Point (Dragged) Productions, Realmbuilders Productions, the fyzz

Verleih: Universum Film/ Square One Entertainment

Canada, USA | 2018

Veröffentlichung für Deutschland: 27.09.2019 (DVD/Blu-Ray-Disc); mögliche Kürzungen stehen noch aus.

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Letzte Änderung amDonnerstag, 25 April 2019 22:57
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Der Verstand ist oft die Quelle der Barbarei; ein Übermaß an Verstand ist es immer.“

– Giacomo Leopardi

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